bis Mitte November 22: »Die vierte Ebene« | Martin Kaltwasser 2022
Zusammen mit Emma Beke Bandmann, Merve Baran, Malin Emming, Anna Helm, Lukas Höhler
Im Rahmen der Ausstellung »Hidden Landscapes« im DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst
»Die vierte Ebene« ist eine großmaßstäbliche Außenrauminstallation, bestehend aus Carports, Gewächshäusern, Autos, einem zu einem Lastenfahrrad umgewandelten Auto, einem Aussichtsturm.
Die verschiedenen Elemente beziehen sich auf Landschaftsgestaltung in unserer westlichen Hemisphäre, auf landschaftsprägende Lebenswelten und ihre materiellen Glücksverheißungen, auf Hausbau und dergleichen. Und auf den Ort im erweiterten Maßstab. Die Elemente sind auf einer bekiesten Fläche südlich des historischen Brauhauses zueinander gruppiert. In der Kiesfläche ist mit Pflastersteinen der Grundriss einer ehemaligen Bebauung sichtbar gemacht worden. Das ablesbare Bodenrelief früherer Behausung und Bewohnung greift die Rauminstallation mit aktuellen Insignien von Landnahme, Urbarmachung, Mobilität, Naturdomestizierung, Sesshaftigkeit, Überwachung und unserer kulturräumlichen Prägung durch Einfamilienhaussiedlungsbau auf.
»Die vierte Ebene« nutzt und spielt mit Zitaten gegenwärtiger ruraler und urbaner Phänomene von Behausung, Nomadentum, Verdrängung, Perfektion, Ungenauigkeit, Bezugnahme und Abkapselung, Abgrenzung und Offenheit, Sehen und Gesehen werden, Nachhaltigkeit und Verschwendung, Future und No Future. »Die vierte Ebene« materialisiert eine Bestandsaufnahme des Status Quo, darin eingearbeitet sind Verweise auf utopische Modelle, Visionen und Handlungsoptionen.
In die Installation sind künstlerische Werke von Studierenden am Institut für Kunst und Materielle Kultur der TU Dortmund integriert. Die ortsbezogenen Arbeiten von Emma Beke Bandmann, Merve Baran, Malin Emming, Anna Helm und Lukas Höhler sind in den Autos, im Lastenfahrrad und in den Gewächshäusern platziert. Ihre künstlerischen Arbeiten greifen virulente Fragestellungen aktueller Auseinandersetzungen um Nachhaltigkeit, Landschaft, Pflanzenwelt, Formen von Behausung, Psychogeographie und Stadtplanungsutopien auf.
Im Transportraum eines VW T4 Transporters sind zwei Leuchtobjekte von Emma Beke Bandmann installiert, die an organische Pflanzenmuster und bionische Formen oder an futuristische Architekturmodelle erinnern – mit mathematischer Genauigkeit und handwerklicher Präzision ausgeführt. Gleichzeitig erinnern sie an das urinstinktive Bedürfnis nach Behaglichkeit und Sesshaftigkeit.
Merve Barans aus gebrauchten Jeansstoffen schachbrettartig gewebte textile Struktur »overflowing landscape«, in einem Gewächshaus horizontal hängend installiert, thematisiert die globale politische Dimension der Herstellung und des Fast-Fashion-Gebrauchs von Jeansmode aus Baumwolle mit ihren verheerenden ökologischen Auswirkungen, genauso wie die hybride Offenheit zwischen Gebrauchswert und künstlerischer Autonomie eines Objekts. Das aus dem Alltagsgebrauch gerissene Material aus 40 getragenen Jeanshosen gewonnen, dem man die vorherige Nutzung noch deutlich ansieht, mutiert zum Mapping, zum abstrakten Landschaftsbild und zu einem Gebilde, das sich dem definitorischen Zugriff entzieht.
Anna Helm zeigt ihr utopisches städtebauliches Modell eines Segments des Marler Stern. Der Marler Stern ist das in den 1970er Jahren errichtete Einkaufszentrum der damals aufstrebenden Stadt Marl im nördlichen Ruhrgebiet, die aufgrund ihres Chemiewerks und der Steinkohleförderung zu den reichsten Städten Deutschlands gehörte. Mittlerweile ist Marl eine der bundesweit ärmsten Städte und das Einkaufszentrum ist ein in Beton gegossenes, heutzutage teilweise leerstehendes Riesengebilde früherer Glücksversprechen der utopischen Moderne und des vergangenen Industriezeitalters in einer auf dem Reißbrett entworfenen Stadt, deren Bewohnerinnen und Bewohner sich nach nichts mehr sehnen als nach Heimeligkeit, urbaner Lebendigkeit, Aufbruchsstimmung, Prosperität und Erholung in der Natur.
Anna Helm verarbeitete all diese Sehnsüchte, die sie in Vor-Ort-Recherchen in Marl durch Interviews aufnahm, in diesem Modell, in dem sie einen Teil der früheren Betonutopie einer »Stadt von Morgen« in eine zeitgenössische Utopie einer zukunftsfähigen Stadt des 21. Jahrhunderts verwandelt. Ausgestellt wird ihr Modell in einem Lastenfahrrad, das Martin Kaltwasser in einem Workshop mit Designstudierenden in Puebla/Mexiko aus den Teilen eines alten US-Autos konstruierte.
Malin Emming stellte aus alten topographischen Landkarten des münsterländischen Kreises Coesfeld, der Region, in der sie Kindheit und Jugend verbrachte, durch Ausschneiden, neues Zusammensetzen und reliefartige Verformung in die dritte Dimension entlang von Höhenlinien eine eigene Psychogeographie der ihr vertrauten Heimatlandschaften mit dem ihr als Digital Native unter dem vertrauten Medium der physischen Landkarte her. Spielerisch übt sie mit der detaillierten Plangraphik und dem tradierten kartographischen Narrationserbe der Landschaftsabbildung und
-interpretation einen spielerisch-unbedarften Umgang aus, ähnlich den Situationisten in den 1960er Jahren.
Lukas Höhler platziert in einem Gewächshaus, das über einen Online-Versand erworben wurde und eindeutig als ein solches Produkt zu identifizieren ist, wie sie millionenfach in hiesigen Gärten landen und dem selbstgezogenen Gemüse eine Heimat geben, ein selbstkonstruiertes vollautomatisches Gewächshaus, »Der Zauberkasten V2«, das ironisch-zugespitzt den zeitgenössischen Boom des Gemüseselbstanbaus, des Traums vom eigenen Garten und unsere auf Flexibilität und Nomadentum ausgerichteten Arbeitswelten kommentiert:
»Es ist ein vollautomatisches Gewächshaus, welches die Parameter Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Erdfeuchtigkeit überwacht. Werden bestimmte Grenzwerte überschritten, steuert es selbstständig mit einer Pumpe und einem Ventilator die Parameter. Das gesamte Projekt kostet insgesamt ca. 50 €. Es nutzt als Grundgerüst ein billiges Tomatengewächshaus, zusätzlich 3 Wegwerfpaletten. Die Halterungen sowie die Gehäuse der Elektronik wurden mit Hilfe des 3D-Drucks realisiert, es gibt aber auch die Möglichkeit eine Butterbrotdose als Zuhause für Elektronik zu verwenden. Es ist ein Open Source-Projekt, d.h., alle Daten und Dateien sind nachher über meine Homepage abrufbar. Es soll zum Nachahmen anregen (Elektronik kann auch für Fensterbanken, Balkone etc. genutzt werden). Es ist erweiterbar mit neuen Features (WIFI Steuerung etc.).
Es ist ein Plastik/Holz/Metall-Ungetüm, welches eigentlich alles verkörpert, was Pflanzen eben nicht brauchen.« Lukas Höhler
Die Installation »Die vierte Ebene« ist seit ihrer Eröffnung am 24.6.22 im Rahmen der Ausstellung »Hidden Landscapes – Schichten des Anthropozän« des DA Kunsthaus Kloster Gravenhorst eine work-in-progress-Arbeit, die sich in den letzten Wochen sukzessive veränderte und erweiterte und ihren finalen Zustand am Samstag, 13.8.2022 erreicht hat. Sie wurde am 13.8.2022 im Rahmen der Künstlergespräche anlässlich der Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert.
»Die vierte Ebene« wird bis zum 28.10.2022 am DA Kunsthaus Kloster Gravenhorst zu sehen sein. Die Installation ist begehbar.
Sie wird mit einer Finissage am 28.10.2022 abschließen und danach abgebaut werden.
Dank an/ Mit Unterstützung durch:
Finn Köhntop, Fred-Louis von Oettingen, Steffen Mischke, Oanh Nguyen, Ralf Reinhardt, Gebrauchtwagen Vedat Kandemir Bochum, Tewes Automobile GmbH Dortmund, Thomas Oberste, TU Dortmund, Floating University Berlin, Berit Gerd Andersen und Sara Dietrich und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst.
Martin Kaltwasser 2022